Femizide – Tötungen von Frauen wegen ihres Geschlechts

Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. An jedem dritten Tag bringt in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin um. Nicht selten werden solche Femizide in Medien und Öffentlichkeit als „Eifersuchtsdramen“ oder „Familientragödien“ verharmlost.

Allerdings divergiert in der deutschen Strafjustiz die rechtliche Betrachtung von niedrigen Beweggründen innerhalb der Fallgruppe der Trennungstötungen. Teilweise wird vom Bundesgerichtshof, völlig zu Recht, ein niederer Beweggrund bei Trennungstötungen angenommen, wenn die Motivation der Tötung darin bestand, der Ex-Partnerin kein eigenständiges Leben zuzugestehen. Allerdings gibt es auch entgegenstehende höchstinstanzliche Urteile, die festhalten, „dass tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung und der inneren Ausweglosigkeit sein (können), die eine Bewertung als ‚niedrig' namentlich dann fraglich erscheinen lassen können, wenn (...) die Trennung von dem Tatopfer ausgegangen ist und der Täter durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will“. Eine solche Rechtspra-xis steht im Widerspruch zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), das seit dem 1. Februar 2018 im Range eines Bundesgesetzes gilt. Artikel 46 Buchstabe a der Istanbul-Konvention fordert ausdrücklich gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei der Strafzumessung als erschwerend berücksichtigt werden kann, wenn die Tatbegehung durch den früheren oder derzeitigen Ehemann oder Partner erfolgte.

Für Frauen ist es eine reale Gefahr, getötet oder schwer verletzt zu werden, wenn sie ihr Leben nicht mehr mit dem bisherigen Partner verbringen wollen. Dieser geschlechtsspezifischen Gewalt dürfen weder Justiz noch gesellschaftliches Umfeld mit Nachsicht, Verständnis oder Strafmilderungen begegnen.

Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen muss als solche zukünftig deutlich benannt werden. Dazu bedarf es einer gezielten Erfassung von frauen-feindlichen Straftaten in der Kriminalstatistik. Es muss offenkundig sichtbar werden, welchen Straftaten ein frauenfeindliches Motiv zugrunde liegt.

Wir fragen den Senat:
1. Wie viele Frauen wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik seit dem Jahr 2013 bis heute in Bremen und Bremerhaven innerhalb einer laufenden oder ehemaligen Partnerschaftsbeziehung Opfer von
a) Mord,
b) Totschlag,
c) Körperverletzung mit Todesfolge?
Bitte auch Opfer von versuchten Tötungsdelikten mit aufführen.
2. Wie viele Personen wurden aufgrund dieser (auch versuchter) Taten verurteilt wegen
a) Mordes gemäß § 211 Strafgesetzbuch (StGB),
b) Totschlags gemäß § 212 StGB,
c) minder schweren Fall des Totschlags gemäß § 213 StGB,
d) Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB?
Falls der Senat keine Kenntnis hierüber hat, woran liegt das, und wie möchte der Senat dies zukünftig ändern?
3. Wie beurteilt der Senat eine mögliche Ergänzung der niederen Beweg-gründe nach § 46 Absatz 2 StGB um eine frauenverachtende/-feindliche Motivation des Täters?
4. Wie viele Gewaltschutzanordnungen wurden in Bremen und Bremerhaven in den vergangenen fünf Jahren durch Familiengerichte erlassen? (Bitte nach Jahren und Familiengerichtsbezirken aufschlüsseln.)
5. In wie vielen Fällen kam es zu Strafen nach § 4 des Gewaltschutzgesetzes?
6. Wie lang dauerte der Erlass einer solchen Gewaltschutzanordnung erfahrungsgemäß im Durchschnitt in Bremen und Bremerhaven?
7. Wie viele Wohnungsverweisungen nach dem Bremischen Polizeigesetz wurden in den letzten fünf Jahren zum Schutz von weiblichen Personen ausgesprochen (bitte nach Jahren und Stadtgemeinden aufschlüsseln)? Inwieweit ist aufgrund der am 8. Dezember 2020 in Kraft getretenen Erleichterung dieser Maßnahme bereits eine Veränderung der polizeilichen Praxis feststellbar?
8. Wie viele Nachkontrollen gemäß dem neuen § 12 Absatz 6 des Bremischen Polizeigesetzes wurden bisher durchgeführt, und wie oft wurde dabei ein Verstoß gegen das Rückkehrverbot festgestellt?
9. In wie vielen Fällen wurden bisher die Kontaktdaten von Personen, von denen häusliche Gewalt ausgegangen oder gegen die häusliche Gewalt verübt worden ist, gemäß dem neuen § 55 Absatz 5 des Bremischen Polizeigesetzes an eine Beratungsstelle übermittelt (bitte nach Stadtgemeinde und nach Gewalt ausübende beziehungsweise von Gewalt betroffene Personen aufschlüsseln), und wie bewertet der Senat die bisher mit diesem neuen Verfahren gemachten Erfahrungen?
10. Welche Maßnahmen trifft oder plant die Polizei Bremen, um zur Thematik (drohende) Femizide zu sensibilisieren und präventiv zu wirken?
11. Wie viele Verfahren mit welchem Ausgang gab es nach dem Opferentschädigungsgesetz, in denen Frauen einen Anspruch wegen sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt geltend gemacht haben?
12. Welche Kenntnisse haben der Senat und die zuständigen Behörden darüber, dass die weibliche Bevölkerung, insbesondere Frauen mit Migrationsgeschichte, Sexarbeiterinnen, Frauen mit Beeinträchtigung und obdachlose Frauen, in erheblichem Maße von Gewalt durch Partner und Ex-Partner betroffen sind und diese zudem häufig auch ein hohes Maß an Diskriminierung und Gewalt außerhalb der Paarbeziehungen und in unterschiedlichen Lebenskontexten erfahren?
13. Inwieweit werden diese Formen von Mehrfachbetroffenheit bei der Erhebung von Daten zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Tötung von Frauen erfasst?
14. Welche Angebote zur Täterarbeit in Bezug auf Femizide gibt es in den Justizvollzugsanstalten in Bremen und Bremerhaven?
15. Wie werden Richter:innen in Bremen und Bremerhaven bezüglich der Möglichkeit sensibilisiert, als Auflage die Teilnahme an entsprechenden Angeboten der Täterarbeit auszusprechen?
16. Welche Fortbildungen sind in den letzten fünf Jahren bei Richter:innen und Staatsanwält:innen in Bezug auf Trennungstötungen durchgeführt worden?
17. Bedarf es nach Auffassung des Senats einer Gesetzesänderung, um Femizide angemessen zu bestrafen?
18. Welche Handlungsbedarfe oder Umsetzungsdefizite sieht der Senat in Bezug auf Artikel 46 Buchstabe a der Istanbul-Konvention?

Sülmez Dogan, Sahhanim Görgü-Philipp, Dorothea Fensak, Mustafa Öztürk, Björn Fecker und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Antje Grotheer, Sascha Karolin Aulepp, Kevin Lenkeit, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD
Maja Tegeler, Nelson Janßen, Ralf Schumann, Sofia Leonidakis und Fraktion DIE LINKE