Istanbul-Konvention: Gewaltschutz für alle Frauen* – ohne Vorbehalte

TegelerFrauen & Gleichstellung

2011 hat Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) unterzeichnet. 2017 wurde diese schließlich ratifiziert und zum 1. Februar 2018 in Kraft gesetzt. Dies war ein wichtiger Schritt, der eine deutliche Verbesserung für von Gewalt betroffene Frauen* und Mädchen* bringen soll.

Frauen* mit einem von ihren Ehe- oder Beziehungspartner*innen abhängigen Aufenthaltsstatus sind besonders schutzbedürftig, da sie häufig aus Angst vor einer Abschiebung, dem Verlust des Anspruchs auf Familiennachzug oder anderen mit dem Aufenthaltsstatus verbundenen Hindernissen Gewalttaten nicht zur Anzeige bringen und diese hinnehmen. Aus diesem Grund legt der Artikel 59 (Aufenthaltsstatus) der Istanbul-Konvention in vier Paragrafen fest, wie aufenthaltsrechtliche Fragen bei Frauen*, die geschlechtsspezifische Gewalt erfahren, zu regeln sind.

Zu den Absätze 2 und 3 legte die Bundesregierung bereits 2012 Nichtanwendungsvorbehalte ein. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, wie das Deutsche Institut für Menschenrechte oder der Deutsche Juristinnenbund, kritisieren, dass viele Frauen* durch diese Entscheidung aus den Schutzmöglichkeiten des Artikels 59 ausgeschlossen werden oder einen schlechteren Schutz bekommen, als es ihnen nach den Maßgaben der Istanbul-Konvention zusteht.

Die Bundesregierung begründet das Festhalten an den Vorbehalten dadurch, dass die Vorgaben der Istanbul-Konvention bereits im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vollständig enthalten seien, insbesondere im § 31 AufenthG (Eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehegatten) und § 25 (Aufenthalt aus humanitären Gründen). Kritiker bemängeln, dass die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes diverse Fallkonstellationen außer Acht lassen, zu hohe Hürden an Beweislast festlegen oder Duldungen statt Aufenthaltserlaubnisse favorisieren und somit auf wesentliche aufenthaltsrechtliche Vorteile für die Betroffene verzichten.
Eine genaue Ausführung aller Aspekte dieses Problems würde den Rahmen des vorliegenden Antrags sprengen, doch beispielhaft werden im Folgenden einige wichtige Aspekte dargestellt, die eindeutig für die Rücknahme der Vorbehalte sprechen.

Grundsätzlich können Personen, deren Aufenthaltsstatus an jene ihrer Ehe- oder Beziehungspartner*innen gekoppelt sind, bei Auflösung der Ehe bzw. der Partner*innenschaft erst nach drei Jahren ehelicher Lebensgemeinschaft ein eigenständiges Bleiberecht erlangen.

Für Frauen*, die häusliche oder anderweitige geschlechtsspezifische Gewalt erfahren, ist diese Regelung nicht zumutbar. Aus diesem Grund werden diverse Ausnahmen und Situationen im Aufenthaltsgesetz festgelegt, die die 3-Jahres-Frist aufheben. Doch diese Ausnahmen erfassen auf keinen Fall das gesamte Spektrum der Lebensrealitäten der Betroffenen. Die Absätze 2 und 3 vom Artikel 59 der Istanbul-Konvention würden hierbei helfen.

Der zweite Absatz des Artikel 59 der Istanbul-Konvention eröffnet die Möglichkeit der Aussetzung von Ausweisungsverfahren von Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt, deren Ehe- oder Beziehungspartner*innen selbst ausgewiesen werden sollen. Ziel dieser Regelung ist, die Frauen* in die rechtliche und zeitliche Lage zu versetzen, eigenständig eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Die Bundesregierung lehnt diese Regelung mit der Begründung ab, dass der § 31 Absatz 2 AufenthG dieses Ziel durch eine Härtefallregelung bereits erreiche. Eine genauere Betrachtung vom besagten Paragrafen zeigt hingegen, dass es sich nicht um einen eigenen Aufenthaltstitel handelt, sondern um eine bloße Verlängerung des Bestehenden. Darüber hinaus werden als besondere Härte hauptsächlich häusliche und familiäre Gewalt anerkannt, während andere Formen von Gewalt, wie psychische oder sexualisierte Gewalt, unberücksichtigt bleiben. Ferner beklagen Fachberatungsstellen und Frauen*häuser, dass ihre Stellungnahmen in Fällen häuslicher Gewalt häufig nicht von den Behörden akzeptiert werden und dass die Betroffenen eine kaum aufzubringende Menge an Dokumentationen der Misshandlungen vorlegen müssen. Humanitäre Aufenthaltserlaubnisse im Sinne der Istanbul-Konvention würden diese Situation deutlich verbessern.

Der dritte Absatz von Artikel 59 soll von Gewalt betroffenen Frauen* ermöglichen, einen verlängerbaren Aufenthaltstitel zu bekommen, wenn ihr Aufenthalt in Deutschland aufgrund der persönlichen Lage oder zur Mitwirkung in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren erforderlich ist. Grund des Vorbehalts ist zum einen, dass die Formulierung „persönliche Lage“ zu unkonkret sei und zum anderen, dass die Frauen* im Falle einer Mitwirkung in einem Strafverfahren in der Regel eine Duldung erhielten. Dieser Vorbehalt ist im Sinne der Frauen*rechte besonders bedauerlich, denn durch die Regelung der Istanbul-Konvention wird es wesentlich erleichtert, schutzbedürftige Frauen* aufgrund von häufig massiv traumatisierenden Erlebnissen in aufenthaltsrechtliche Sicherheit zu bringen, mit alldem, was das impliziert. Die Formulierung „persönliche Lage“ in diesem Kontext erfasst alle Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt, die Frauen* erfahren können. Eine konkrete und individuelle Untersuchung jedes Falles findet ohnehin während des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens immer statt und es kommt dementsprechend zur Erteilung des Aufenthaltstitels oder zu derer Ablehnung. Zuletzt ist das Festhalten an der Erteilung von Duldungen generell und besonders bei Frauen*, die misshandelt worden sind und sich als Zeug*innen in ein Strafverfahren einbringen, alles andere als menschenrechtsorientiert. Eine Duldung ist in der Regel mit einem Arbeitsverbot verbunden sowie mit einer Residenzpflicht und einer drohenden Abschiebung und gewährt keinen Anspruch auf Kindernachzug oder soziale Leistungen nach dem SGB II. Die Betroffenen werden bloß als Teil eines Verfahrens betrachtet und die menschliche Dimension ihrer Geschichte wird vollkommen vernachlässigt.

Der Schutz von Frauen*, die geschlechtsspezifische Gewalt im Bundesgebiet oder in anderen Ländern nach einer Abschiebung erfahren, ist im deutschen Aufenthaltsrecht noch lückenhaft. Aus diesem Grund sollen die Vorbehalte zu Artikel 59 der Istanbul-Konvention bei nächster Gelegenheit 2023 zurückgenommen werden.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf,
1. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Vorbehalte zu den Absätzen 2 und 3 des Artikels 59 der Istanbul-Konvention aufgehoben werden, ohne dabei hinter den Schutzmechanismen des Aufenthaltsgesetzes zurück zu bleiben;
2. alle zur Verfügung stehenden aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um auch weiterhin Aufenthaltserlaubnisse für von Gewalt betroffenen Frauen* im Land Bremen zu erteilen;
3. eine Strategie zu entwickeln, um von Gewalt betroffene Frauen* mit ehe- oder beziehungsabhängigen Aufenthaltsstatus im Land Bremen über Beratungs- und Unterstützungsangebote zu informieren sowie diese durch Übersetzer*innen und mehrsprachige Online-Angebote zugänglich zu machen.

Maja Tegeler, Sofia Leonidakis, Nelson Janßen und Fraktion DIE LINKE
Dr. Henrike Müller, Björn Fecker und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gönül Bredehorst, Mustafa Güngör und Fraktion der SPD